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FALL:

Verständigungsprobleme bei Jugendausbildung

EREIGNIS

An einem Samstagvormittag übte eine Gruppe der Jugendfeuerwehr den Löschangriff. Nach Beendigung der Übung befahl der Jugendwart den Abbau. Hierzu sollten zunächst alle Gerätschaften zur Vollzähligkeits- und Funktionskontrolle auf einer Plane gesammelt werden. Um schneller Abmarschbereit zu sein, wies der Jugendwart parallel zum Abbau dem Maschinisten an, das Einsatzfahrzeug umzudrehen um Zeit einzusparen, da man schon „5 Minuten über der Zeit“ war.

Der Jugendwart befragte den Maschinisten, ob dieser einen Einweiser benötige oder ob er vorwärts drehe. Der Maschinist verneinte, meinte hierbei jedoch das Vorwärtsdrehen. Es kam somit zu einem Kommunikationsfehler.

Da der Maschinist nicht Vorwärts sondern rückwärts drehen wollte, legte er den Rückwärtsgang ein, womit das Piepen des Rückfahrwarners begann.

In diesem Moment fiel dem Jugendwart ein Kind der Jugendfeuerwehr auf, welches entgegen der Anweisung, die Gerätschaften des Löschangriffs zunächst auf einer Plane zu sammeln, direkt im Fahrzeug verlasten wollte und somit direkt hinter dem Einsatzfahrzeug stand.

Nur durch lautes Rufen und eine Durchsage per Funk konnte der Maschinist gewarnt werden und das Fahrzeug stoppen.

FACHKOMMENTAR

Ein Unfall besteht in der Regel nicht nur aus einer Ursache sondern aus einer Kette von sogenannten gefahrbringenden und unfallbegünstigenden Bedingungen. In der Theorie zur Entstehung eines Unfalls (Unfalltheorie) geht man davon aus, dass bis zu 7 Bedingungen zusammenkommen müssen, um einen Unfall wirksam werden zu lassen. Die Bedingungen entstehen aus Personen- oder Systemfehlern und sind vor allem auf vier Fehlerbereiche zurückzuführen: organisatorische Einflüsse, Aufsicht, Vorbedingungen und konkrete Handlungen1.

Der genannte Beinahe-Unfall zeigt Eindrucksvoll, dass auch hier mehrere „Fehler“ aufgetreten sind, die an den handelnden Personen oder im System lagen.

  1. Entgegen der Anweisung, die Gerätschaften zunächst auf einer Plane zu sammeln, um sie auf Vollständigkeit und Funktion zu überprüfen, ging ein Kind direkt zum Einsatzfahrzeug, um ein Gerät zu verlasten. Ob der Befehl bewusst missachtet wurde oder das Kind den Befehl des vorherigen Sammelns nicht mitbekommen hat, ist nicht bekannt. Es zeigt jedoch, wie wichtig es für eine Führungskraft ist, sich zu vergewissern, dass Befehle auch verstanden wurden. Akustisch wie geistig.
  2. Als der Jugendwart die Frage stellte, ob der Maschinist einen Einweiser benötigt oder vorwärts umdreht, handelte es sich um eine „Entweder-oder-Frage“. Die kann nicht nur mit einem „ja“ oder „nein“ sondern muss mit der Zusatzinformation hinsichtlich eines Fragenteils beantwortet werden. Das „nein“ des Maschinisten bezog der Jugendwart auf die Frage nach einem Einweiser. Der Maschinist meinte jedoch, ob er vorwärts umdrehe. Hier kam es zu einem klassischen Kommunikationsproblem bzw. –fehler. Hier hätte durch den Jugendwart nachgefragt werden müssen, auf welchen Teil seiner Frage sich das „nein“ bezog.
  3. Da man schon „5 Minuten über der Zeit war“, wurde schneller gearbeitet. Zeitdruck bedeutet aber auch, dass häufig mehr Fehler passieren, weil die Genauigkeit leidet. Vielleicht hat das Kind es, aufgrund der knappen Zeit, auch nur gut gemeint und wollte die Gerätschaften schneller auf dem Fahrzeug verlasten. Zeitdruck muss daher nach Möglichkeit vermieden werden. Genauigkeit ist als wichtiger anzusehen.
  4. Unter welchen Bedingungen Rückwärts gefahren werden darf und was dabei beachtet werden muss, ist klar in der Straßenverkehrsordnung (StVO) sowie der DGUV Vorschrift 71 Fahrzeuge (UVV Fahrzeuge) geregelt.
  • 9 Abs. 5 StVO - Wer ein Fahrzeug führt, muss sich beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen.
  • 46 Abs. 1 DGUV Vorschrift 71 Fahrzeuge - Der Fahrzeugführer darf nur rückwärtsfahren oder zurücksetzen, wenn sichergestellt ist, dass Versicherte nicht gefährdet werden; kann dies nicht sichergestellt werden, hat er sich durch einen Einweiser einweisen zu.

Während sich die StVO auf den öffentlichen Straßenverkehr bezieht, regelt die DGUV Vorschrift 71 auch nicht-öffentliche Bereiche. Die DGUV Vorschrift 71 führt weiterhin aus:

Das Rückwärtsfahren und das Zurücksetzen, z.B. beim Wenden, stellen so gefährliche Verkehrsvorgänge dar, dass diese nach Möglichkeit vermieden werden sollten. Kann darauf nicht verzichtet werden, sind besondere Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.

Es kann nur auf einen Einweiser verzichtet werden, wenn sicher ausgeschlossen werden kann, dass sich keine Personen hinter dem Fahrzeug aufhalten kann. Alternativ können „geeignete Systeme“ zur Unterstützung eingesetzt werden. Die UVV Fahrzeuge führt dazu genauer aus:

Ansonsten kann eine Gefährdung von Versicherten in der Regel vermieden

werden durch

  • Abschrankung des Gefahrbereiches,
  • die Anordnung von Verkehrsspiegeln, die dem Fahrzeugführer das Überblicken des Gefahrbereiches ermöglichen,
  • Rückfahr-Videosysteme,
  • Rangier-Warneinrichtungen nach DIN 75 031 „Nutzkraftwagen und Anhängefahrzeuge; Rangier-Warneinrichtungen; Anforderungen und Prüfung“,
  • oder
  • Funksprechverkehr, z.B. bei Schwerlasttransporten.

Ebenfalls geregelt ist, wer Einweiser ist und welche Anforderungen an ihn gestellt sind: Einweiser ist, wer einem Fahrzeugführer bei Sichteinschränkung Zeichen gibt, damit Versicherte durch Fahrbewegungen nicht gefährdet werden. Er muss ausreichend Kenntnisse haben, um die Verkehrsvorgänge beurteilen zu können. Das Tragen von Warnkleidung macht ihn für den Fahrzeugführer besser erkennbar.

  • 46 Abs. 2 DGUV Vorschrift 71 Fahrzeuge gibt Informationen über das Einweisen selbst: Einweiser dürfen sich nur im Sichtbereich des Fahrzeugführers und nicht zwischen dem sich bewegenden Fahrzeug und in dessen Bewegungsrichtung befindlichen Hindernissen aufhalten; sie dürfen während des Einweisens keine anderen Tätigkeiten ausführen.

Diese Forderung beinhaltet, dass der Fahrzeugführer das Fahrzeug sofort anzuhalten hat, wenn sich der Einweiser nicht mehr in seinem Sichtbereich befindet. Hindernisse sind z.B. Gebäudeteile, Fahrzeuge, Gruben, Materialstapel.

Im genannten Fall hätte der Maschinist nicht ohne Einweiser rückwärtsfahren dürfen.

1) James Reason: The Contribution of Latent Human Failures to the Breakdown of Complex Systems.

Dieses Fallbeispiel beruht auf anonymen Schilderungen. Hier gegebene Handlungsempfehlungen befreien nicht von der Pflicht zur Beachtung der Unfallverhütungsvorschriften und des sicherheitstechnischen Regelwerks.

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